Freitag, 26. Dezember 2008

Die Zerstörung des Judentempels

Vorbemerkung: In dem vom Heimatbund Königsberg a. d. Eger herausgegebenen Buch „Königsberg an der Eger – Geschichte, Menschen und Schicksale dieser deutschen Stadt und der umliegenden Orte im Sudetenland“ gibt es eine Liste der Hausbesitzer von Königsberg und ihrer Immobilien. Unter der Nummer 97 heißt es da „Judentempel, –, Lange Gasse, besteht nicht mehr“. Und unter einer in den Königsberger Nachrichten Nr. 4/1994 erschienenen Zeichnung eben jenes Judentempels von Fritz Lederer ist in Klammern zu lesen („später abgebrannt)“. In der Tat, der erwähnte Judentempel (Bild rechts) besteht nicht mehr, und abgebrannt ist er auch. Kein Wort darüber freilich, warum das jüdische Gebetshaus nicht mehr existiert, nämlich, dass es im Gefolge des sogenannten Anschlusses der deutschsprachigen Gebiete der ČSR an Hitler-Deutschland in einem antisemitischen Akt in Flammen aufgegangen ist. Es gab viele Zeugen dieser ruchlosen Tat, einige davon konnte ich befragen und erfuhr dabei Folgendes:

„Jetzt haben wir was gemacht!“, mit diesen Worten betraten nach dem „Anschluss“ im Jahre 1938 ein paar Männer 1) das Gasthaus „Stadt Wien“  Kirchplatz 79 und setzten sich an einen der Wirtshaustische. Was sie denn gemacht hätten, wollte der Wirt Peter L. von seinen offensichtlich fröhlich gestimmten Gästen – vornehmlich Mitglieder des Deutschen Turnvereins – wissen. „Was wir gemacht haben?“, gab einer von ihnen dem Wirt bereitwillig Auskunft, „Na, wir haben den Judentempel angezündet. Jetzt ist es weg, das alte Zeug“. Dann bestellten alle ein Bier, denn diese Heldentat musste ja gefeiert werden.

Seit auch Königsberg auf Grund des sogenannten Münchener Abkommens „heim ins Reich“ gekehrt war (so eine der propagandistischen Erklärungen für die Abtrennung der Sudetengebiete Böhmens und Mährens von der ČSR) , waren jetzt, wie im übrigen Machtbereich Hitler-Deutschlands, auch die Angehörigen der kleinen Königsberger Judengemeinschaft ganz und gar rechtlos geworden. Was hieß: jeder „Deutsche“, der sich neuerdings auf Grund der nun geltenden wirren NS-Rassentheorien stolz „Arier“ nennen durfte, konnte mit einem Nichtarier, sprich: Juden, machen was er wollte, ohne Gefahr zu laufen, dafür belangt zu werden. So hätten zum Beispiel, wie mir berichtet wurde, einige besonders eifrige Bürger zwei Frauen - Mutter und Tochter Kraus - aus ihrem kleinen Textilgeschäft, Lange Gasse (heute: Dlouhá Nr. 86), herausgeholt und sie, versehen mit einem Schild und der Aufschrift „Ich bin eine Judensau“ durch die Straßen der Stadt getrieben 2).

Ähnlich willkürlich und straflos wie mit den Menschen jüdischen Glaubens konnte man auch mit ihrem Hab und Gut verfahren, wozu eben auch religiöse Einrichtungen wie Synagogen oder Gebetshäuser gehörten. Die Königsberger nannten das hiesige Gebetshaus nur den „Judentempel“, und der stand auf einer Terrasse des steil zum Egertal abfallenden Bühlener Rains, zu der ein kleiner Weg von der Langen Gasse aus hinführte 3). Von Menschen, die sich noch an diesen Tempel erinnern, wird er als gänzlich aus Holz gefertigt und wenig ansehnlich beschrieben.

Die Juden in Königsberg besaßen nicht nur diesen Tempel, für sie gab es auch einen Friedhof, ebenfalls am Abhang des Schlossberges gelegen. Ganz in dessen Nähe, bei dem Haus Nr. 53 von Anton Amstätter, befand sich ein Schuppen mit dem Begräbniswagen der israelitischen Kultusgemeinde. Die war allerdings bereits 1931 aufgelöst und der Gemeinde in Eger angeschlossen worden. Zu diesem Schuppen nun seien jene oben bereits erwähnten Herren – „keine dummen Buben, sondern gestandene Männer“, wie sich einer meiner Gewährsleute ausdrückte - vor ihrer Wirtshaus-Tour gezogen, hätten das Schloss erbrochen, den Begräbniswagen herausgeholt und ihn an den kurzen abschüssigen Weg zum Judentempel geschoben. Dort gaben sie ihm einen Schubs, worauf der Wagen losrollte und mit dem Gebäude kollidierte, das unter dem Anprall zusammenbrach und in Flammen aufging. Ob es da bereits mit Hilfe von den rundherum aufgehäuften Reisigbündeln in Brand gesteckt war oder erst im Gefolge der Kollision mit dem Gefährt zu brennen begann, dazu gibt es unterschiedliche Aussagen. Sicher jedoch war das Ergebnis: Von Begräbniswagen und Tempel blieb nur ein Haufen rauchender Trümmer übrig. Die Brandstifter konnten zufrieden mit ihrem Unternehmen sein. Jedenfalls sollen sie ihr Bier im Gasthaus „Stadt Wien“ mit besonderem Genuss getrunken haben. Belangt übrigens wurde niemals einer von ihnen für die Untat.
Siegfried Träger

1) Von ihnen sind dem Autor von Augenzeugen folgende Namen genannt worden: Josef Mähner, Königsberg; Franz Schmidkunz, Leibitsch; Josef Plail, Königberg
2) Mutter und Tochter Kraus sollen nach KZ-Aufenthalt den Holocaust überlebt und nach dem Krieg nach Königsberg zurückgekehrt sein.
3) Jetzt befindet sich an dieser Stelle ein schmaler, umzäunter Garten